Ich muss meinem Freund Stefan Backs dafür Respekt zollen, dass er schon vor dem Klassiker BVB- Bayern einen Kommentar inklusive Ergebnis-Tipp gewagt hat. Man muss ihm aber für das (fast) richtige Ergebnis und große Teile der Begründung nun aber nicht gleich hellseherische Fähigkeiten attestieren. Die meisten Spiele der letzten Jahre ließen kaum einen anderen Schluss zu. Trotzdem habe ich – vermutlich bedingt durch meine durch echte Liebe getrübte Objektivität – 3: 2 für Schwarzgelb getippt. Ich gebe zu: Der Wunsch war hier der Vater des Gedankens.
Viele Ergebnisse der letzten Jahre haben aus Freude auf dieses Spiel für den schwarzgelben Fan eher Angst vor einer weiteren Demütigung werden lassen. Zu häufig hatte sich Lucien Favre aufgrund dieses besonderen Spiels besondere taktische oder personelle Varianten ausgedacht, die leider allzu oft in einem Desaster endeten. Oder aber, die Spieler hatten die Hosen so gestrichen voll, dass man eigentlich nur auf eine in der Mannschaft verbreitete virusbedingte Diarrhö schließen konnte.
Und jetzt ging es Samstag wieder gegen diese Bayern. Die Mannschaft, die seit nunmehr fast einem Jahr das Maß aller Dinge im deutschen Fußball, im europäischen und vielleicht sogar im Welt-Fußball ist. Um es gleich vorweg zu nehmen: die Angst war unbegründet. Es war in Zeiten des Zuschauer- und damit weitestgehend emotionslosen Fußballs ein hervorragendes Fußballspiel. Und es trafen dieses Mal nicht fußballerische Welten aufeinander. Der BVB ist zumindest wieder auf demselben Planeten angekommen, auch wenn es nur zu einer – für mich unverdienten – Niederlage gereicht hat. Und es gibt einige Gründe dafür, dass es sich nicht nur um eine Zwischenlandung handelt, sondern dass die Schwarzgelben in dieser Saison bereit für einen echten Titelkampf sind!
Das größte Plus der Bayern in den letzten Jahren war die Erfahrung. Erfahrung auf hohem sportlichem Niveau ist durch nichts zu kompensieren. „Jugendliche“ Unbekümmertheit – oft Grund für große Leistungsschwankungen beim BVB – und auch extreme körperliche Fitness junger Spieler können mangelnde Erfahrung niemals wettmachen. Auch die beim BVB oft zu recht kritisierte Mentalität hängt unmittelbar damit zusammen. In diesem Punkt scheint sich nun aber einiges zu bewegen beim BVB. Spieler wie Hummels, Can, Witsel, Delaney und ein offensichtlich wieder in Form kommender Marco Reus bilden ein erfahrenes Gerüst mit Führungsqualitäten.
Die „jungen Wilden“ wie Sancho, Reyna und Bellingham scheinen endlich auf Lernmodus geschaltet zu haben und beteiligen sich mit Erfolg an der Defensivarbeit der gesamten Mannschaft, was wiederum zu einer beachtlichen Anzahl von „zu Null–Spielen“ geführt hat. Das Naturereignis Haaland lasse ich bewusst außen vor, weil sich so etwas objektiver Bewertungskriterien entzieht. Ich kann nur die Daumen drücken, dass es auf diesem Niveau bei ihm so weitergeht.
Es stellt sich natürlich sofort die Frage, ob das wirklich reicht, den Über-Bayern einen echten Titelkampf zu liefern? Klare Antwort: vielleicht! Zum einen bedingt natürlich durch die schwere Verletzung von Joshua Kimmich, diesem wunderbaren Spieler, dem ich auf diesem Wege eine schnelle Genesung wünsche, der als Mentalitätsmonster für die Bayern in den nächsten Wochen praktisch unersetzlich ist. Zum anderen haben die Bayern aber selbst schon vor einigen Wochen ins Feld geführt, dass sie bedingt durch den „Corona-Spielplan“ und eine nicht vorhandene Sommerpause erheblichen Kräfteverschleiß verspüren. Trotzdem gewinnen sie – noch – ihre Spiele, aber die unglaubliche Dominanz, die sie in den letzten Jahren praktisch jederzeit abgerufen haben, ist in einigen Spielen dieser jungen Saison, wie im Spiel gegen den BVB, aber auch bei den knappen Siegen gegen Köln und Hertha und natürlich bei der Niederlage gegen Hoffenheim, nicht in gewohntem Maße spürbar gewesen. Sollte das tatsächlich auf den körperlichen Zustand zurückzuführen sein und betrachtet man dann den Spielplan dieser Saison, der praktisch keine Winterpause, aber viele englische Wochen vorsieht, keimt in meinem schwarzgelben Herzchen die leise Hoffnung auf, dass der Titelkampf nicht schon wieder Aschermittwoch beendet ist und der BVB endlich mal mit Konstanz die Spannung bis zum Saisonende hoch hält. Ich muss allerdings gestehen: Noch ist auch hier der Wunsch der Vater des Gedankens.
#takingcareoffootball